Samstag, 1. März 2014

SFI - Svenska för invandrare - 01.03.2014

Jetzt muss ich endlich mal über meinen Schwedisch-Kurs schreiben, den ich seit Anfang Januar täglich von 8 Uhr bis 13 Uhr besuche. Jeder Einwanderer hat in Schweden das Recht, einen solchen Kurs zu besuchen. Je nach Lebenssituation und Ausbildung gibt es Intensivkurse wie meinen oder weniger intensive Kurse, die dann nur ein oder zwei Mal die Woche stattfinden.

In dieser Schule ("Folkuniversitetet" genannt) treffen sich nun Schülerinnen und Schülern aus tatsächlich allen Ecken und Enden der Welt. Dabei sind die Gründe, warum jemand nach Schweden gekommen ist, durchaus unterschiedlich. Es gibt politische Flüchtlinge, die persönlich verfolgt wurden, es gibt Kriegsflüchtlinge aus Syrien, Afghanistan, Irak und es gibt welche, die einen Schweden oder eine Schwedin geheiratet haben oder heiraten wollen und deswegen den Kurs besuchen. 
In meinem ersten Kurs hatten wir daher zwei Syrer, drei Palästinenser (die meist in Syrien gelebt hatten und daher aus Syrien geflüchtet sind), zwei Afghanen, eine Irakerin, die jedoch lange in den USA gelebt hat und zwei Iraner, einen US-Amerikaner, einen Brasilianer, einen Engländer, zwei Polinnen, eine Chinesin, eine Russin, eine Malaiin, einen Äthiopier, eine Italienerin, einen Filippiner, eine Montenegrinerin und mich. Jeder sollte eine Präsentation über sein Heimatland machen, daher weiß ich so genau, wo jeder herkommt. Diese Präsentationen waren wirklich hochinteressant, über die Sprachen, traditionelle Kleidung, Essen, Kulturschätze... Politik wurde weitgehend draußen gelassen (auch weil dafür unser Schwedisch noch nicht ganz ausreicht). Aber der US-Amerikaner - ein total netter, cooler Kalifornier, der mit einer Schwedin zusammen ist - meinte zu mir, er wäre ja hier nun der "bad guy", da die USA ja einigen Heimatländern Krieg führen oder geführt haben. Ich meinte nur: "Wem sagst Du das - ich komme aus Deutschland..."

Von links stehend: Polen, Afghanistan, Syrien, Italien, Äthiopien, Irak, Palästina, Afghanistan, Palästina (hinten), USA (vorne), Afghanistan, Deutschland, Russland, Großbritannien, Brasilien, ??, Iran, Afghanistan, China.
Von links sitzend: Philippinen, Afghanistan, Syrien, Polen 


Anfang Februar habe ich dann auf Anraten meiner Lehrerin den Sprachtest mitgeschrieben, bestanden und konnte nun in den nächsthöheren Kurs wechseln (und habe dadurch übrigens ein echtes Zeugnis bekommen - auf Schwedisch!). Hier gibt es noch zwei Thailänderinnen, eine Jamaikanerin, eine Nigerianerin, einen Peruaner. Mit einem Kameruner unterhalte ich mich regelmäßig auf Französisch (was nicht so leicht ist, wenn man gerade zwei Stunden Schwedisch gelernt hat, dann sich auf Englisch unterhalten hat, was die meisten doch besser beherrschen und dann plötzlich noch Französisch dazukommt - ich krieg noch nen Knoten ins Hirn!)

Diese Woche haben einige in einer Präsentation u.a. über ihre Berufe berichtet. z.B. ein Pathologe (das sind NICHT die Gerichtsmediziner! Pathologen untersuchen Gewebeproben auf z.B. Krebs) aus Homs in Syrien, oder ein (junger) Archäologe, ebenfalls aus Syrien. Ein Palästinenser hat in Palästina Projekte für die WHO gemacht, ein junger (ich glaube) Afghane macht gerade eine Ausbildung für CNC-Maschinen. Ich habe allerdings nicht über meinen Beruf berichtet, sondern über den Vasaloppet, da ich das alles ja schon hier in meinem Blog aufgeschrieben hatte und so die Präsentation relativ schnell erstellen konnte. :-)

Natürlich treffen hier auch die unterschiedlichsten Mentalitäten aufeinander, allein schon, weil die Altersstruktur ziemlich gemischt ist. Von 22 bis 66 ist alles vertreten. Und ich stelle fest, dass ich erstens auf jeden Fall Vorurteile habe - Frauen mit Kopftuch, die nichts sagen, "arabische" Männer, die grundsätzlich laut und undiszipliniert sind, generell alle "Südländer", die immer früher gehen oder zu spät oder gar nicht kommen. Zweitens stelle ich fest, dass man sich gerade in dieser Schule alle seine Vorurteile ganz leicht selbst bestätigen kann. Drittens allerdings halten sie einer genauen Prüfung nicht stand: Den besten Kurztest in meiner neuen Klasse hatte ein Syrer geschrieben, der weder laut noch undiszipliniert ist. Das Zu-spät-oder-gar-nicht-kommen hat damit zu tun, dass manche parallel eine Ausbildung machen oder arbeiten und daher nur zwei oder drei Tage die Woche kommen können. Außerdem habe ich mich dabei ertappt, dass ich dachte, unsere Kalifornier hat eine "coole Einstellung", wenn er nur gelegentlich auftauchte, bei den Afghanen hatte ich aber einen "na klar, typisch, keine Disziplin"-Gedanken - für das gleiche Verhalten... Eine Syrerin macht gleichzeitig noch einen Englischkurs und muss daher immer eine Stunde früher gehen. Ein kopftuchtragendes junges Mädchen lässt sich weder auf Englisch, Schwedisch noch auf Persisch irgendetwas von irgendwem sagen und bietet immer schnell und schlagfertig Paroli. Der große, gut aussehende Palästinenser und seine ebenso gut aussehende Schwester (ohne Kopftuch) sind unglaublich schüchtern und sagen fast nie etwas. Die immer leicht arrogant und gelangweilt dreinblickende Jamaikanerin ist eigentlich total nett. Und so weiter, und so weiter. 

Jedenfalls finde ich es unglaublich bereichernd, diesen Kurs besuchen zu dürfen. Es ist anstrengend, es ist schwierig, man muss sich selbst im Zaum halten und darf nicht jeden Spruch machen - aber man lernt so viel Neues, nicht nur die Sprache! Fantastisch!

Und im übrigen zur "deutschen" Disziplin: Ich komme immer dann fast eine dreiviertel Stunde zu spät, wenn Chris auf Dienstreise ist und ich daher die Kinder in die Schule bringen muss; das war zuletzt gar nicht so selten. Und letzten Dienstag bin ich früher gegangen, um mit anderen deutschen Müttern von der Schule meiner Kinder noch nen Kaffee zu trinken....

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